Das fragen sich viele. Wie kommt es, dass man sich von Leichter Sprache so beleidigt fühlt und was kann getan werden, um das Bild wieder geradezurücken?
Mangelndes Verständnis
„Sag mal, du machst doch jetzt Leichte Sprache: Wozu braucht man Leichte Sprache? Was soll der Quatsch eigentlich?“ Das wurde ich gerade gestern wieder gefragt. Wie immer mit diesem Unterton von Missfallen und Unverständnis. Diese Situation wiederholt sich fast regelmäßig. Ich antworte dann immer: „Es geht gar nicht um Dich!“ Darauf folgt immer ein Stutzen, ein fragender Blick und ich merke, aha, da startet gerade ein Denkprozess! Ich erkläre weiter: „Leichte Sprache ist ein Angebot für Menschen, die normale Texte nicht verstehen. Alle Menschen, die – genau wie Du – sich über Leichte Sprache aufregen, sind gar nicht gemeint.“
Darauf folgt dann ein erster Verständnismoment. „Ach so…“ Und ich merke, aha, da hat jemand gerade etwas Grundlegendes verstanden. Dann erläutere ich Menschen aus der Zielgruppe, nenne konkrete Beispiele wie Menschen, die gerade erst Deutsch lernen und vom Arzt ein Medikament bekommen haben, das sie nicht verstehen. Oder Menschen mit geringem Bildungsgrad, die ein Schreiben vom Amt bekommen haben. Oder Menschen mit diversen Behinderungen, die Kulturangebote wahrnehmen oder einfach nur im Internet die Öffnungszeiten vom Freibad herausfinden wollen. Jetzt habe ich die volle Aufmerksamkeit meines Gegenübers und ich führe weiter aus, dass Leichte Sprache ein Zusatzangebot ist. Sie besteht neben der ganz normalen Sprache und richtet sich an alle, die eben mit der deutschen Alltagssprache nicht gut zurechtkommen, aus welchem Grund auch immer.
Dann entspannt sich das Gesicht meines Gegenübers und ich höre: „Ach ja, so habe ich das noch nie gesehen. Das ist ja doch eine tolle Sache.“ Es entsteht auf einmal aufrichtiges Interesse und mir werden viele Fragen zu Leichter Sprache gestellt.
Perspektivwechsel
Solche Gespräche finden häufig statt und ich merke, wie wenig bekannt das Konzept der Leichten Sprache noch ist. Ich merke auch, dass in den Köpfen der Menschen sozusagen erst „der Schalter der Ablehnung“ umgelegt werden muss, damit sie sich öffnen und entweder neugierig werden oder anfangen, Verständnis für Leichte Sprache aufzubringen. Dieser „Schalter der Ablehnung“ springt eigentlich immer an derselben Stelle an:
Was soll das? Ich bin doch nicht dumm! Sollen wir etwa jetzt alle so reden? Will man uns das jetzt aufzwingen oder was? Wer hat sich das denn ausgedacht? Die können sich doch auch ein bisschen anstrengen, um den Text zu verstehen.
Alle gehen von sich selber aus. Alle denken, sie sind gemeint. Alle schließen von sich auf die Allgemeinheit. Das ist „der Schalter der Ablehnung“. Man muss die Menschen also dazu bringen, von sich weg zu schauen, die Perspektive zu wechseln. Das fällt schwer. In meinen Workshops erkläre ich den Perspektivwechsel anhand eines Kommunikationsmodells.
Sender und Empfänger
In der Kommunikation geht es immer um Sender und Empfänger. In Bezug auf Leichte Sprache steuert der Sender mit seiner Kommunikation den Aspekt der Verständlichkeit bei und der Empfänger das Verstehen. Die ideale Situation entsteht, wenn Verständlichkeit und Verstehen aufeinandertreffen.
Ein Beispiel dazu: Ich will zum Vortrag über Leichte Sprache, gerate aber zufällig in den falschen Raum. Dort gibt es gerade einen juristischen Vortrag. Ich finde mich zwischen lauter Juristen wieder, die einem spezifischen Fachthema lauschen. Der Sender, also die Juristin am Redepult, verwendet jede Menge Fachjargon und juristische Begriffe. Das heißt, der Text der Juristin weist eine geringe Verständlichkeit auf; für die Mehrheit der Gesellschaft ist er zu schwer. Aber das macht ja nichts, denn die Juristen im Publikum (die Empfänger) bringen jede Menge Vorwissen und Fachwissen mit basierend auf ihrer Ausbildung und Lebenserfahrung. Die geringe Verständlichkeit des Textes trifft auf hohes Vorwissen, und somit ergänzen sich die beiden. Der Text der Juristin ist auf die Empfänger, nämlich das Fachpublikum, abgestimmt. Ich verstehe so gut wie nichts, denn ich habe nicht das erforderliche Vorwissen. Bei mir entsteht eine Verständnislücke.
Verallgemeinert lässt sich sagen: Je fachlicher der Text, umso eher wird erwartet, dass der Empfänger dem Sender entgegenkommt; also, dass der Empfänger ein hohes Maß an Verstehen mitbringen muss, weil der Text ein geringes Maß an Verständlichkeit aufweist.
In Leichter Sprache wechseln wir die Perspektive. Wir wissen, dass die Empfänger aus ihren eigenen persönlichen Gründen wenig Vorwissen mitbringen. Wir wissen auch, dass sie nicht in der Lage sind, das Vorwissen schnell aufzubauen. Unsere Zielgruppe weist also generell ein eher geringes Maß an Verstehen auf. Daraus folgt, dass die Verständlichkeit der gesendeten Information erhöht werden muss. Wir kommen der Zielgruppe also sprachlich so weit wie möglich entgegen.
Verschiedene Menschen aus der Zielgruppe der Leichten Sprache steuern unterschiedlich viel Verstehen bei: Ein Mensch, der Deutsch als Fremdsprache lernt; ein Mensch mit Down-Syndrom; eine Schulabbrecherin oder ein neurodivergenter Mensch. Manche dieser Menschen brauchen möglicherweise weniger Leichte Sprache als andere. Aber wir wollen ja möglichst viele Menschen erreichen mit Leichter Sprache. Also suchen wir den kleinsten gemeinsamen Nenner: So leicht wie möglich. Damit alle verstehen.
Leichte Sprache als Brücke
Leichte Sprache ist die Brücke, über die wir unserer Zielgruppe so weit wie möglich entgegenkommen. Denn wir wissen: Menschen aus der Zielgruppe KÖNNEN uns mit dem Verstehen nicht weiter entgegenkommen. Also MÜSSEN wir diesen Schritt tun, damit wir uns auf Augenhöhe treffen können. Es ist einfach nur eine Sache der Perspektive. So einfach ist das.