Worttrennung in Leichter Sprache

Worttrennung in Leichter Sprache in der Praxis: Gestern auf der Autobahn fuhr vor mir ein Kleintransporter, auf dem folgender Schriftzug prangte:

Fliesenlegerfachbetrieb

Da dachte ich mir, es wird Zeit für einen Artikel über Worttrennung in Leichter Sprache.
Nehmen wir erst einmal das Wortungetüm auseinander: Es beinhaltet zwei wichtige Aussagen: Fliesenleger und Fachbetrieb. Beide Wörter können wir wiederum in je zwei Bestandteile trennen: Einer, der Fliesen legt und ein Betrieb, der sich fachlich spezialisiert hat. Aber wie können wir das in Leichter Sprache darstellen?

Wichtige Infos zur Worttrennung

Vielleicht sollten wir uns erst einmal fragen: Warum trennen wir Wörter in der Leichten Sprache? Wie man beim obigen Beispiel sehr schön sehen kann, ist ein Wort, bei dem die Wortgrenzen nicht deutlich hervorgehoben sind, schwer zu lesen. Der Begriff wäre viel einfacher zu lesen, wenn die Wortgrenzen hervorträten. Dann kann man die einzelnen Wortteile schneller erkennen und verstehen. Eine wichtige Regel lautet also:

In Leichter Sprache machen wir die Wortgrenzen deutlich. Das hilft enorm beim Leseverständnis. Diverse Zielgruppen, wie hier beschrieben, haben Probleme mit langen Wörtern.

Die Regeln zur Trennung sind nicht einheitlich

Nun gibt es für das Regelwerk der Leichten Sprache zwei wichtige Schulen: Die Forschungsstelle Leichte Sprache (FLS) der Uni Hildesheim und das Netzwerk Leichte Sprache. Beide sind sich in vielen Dingen einig, haben zum Teil aber unterschiedliche Herangehensweisen, was die Worttrennung in Leichter Sprache angeht:

Während das Netzwerk auf Bindestriche setzt und im Zweifel lieber den Begriff nicht trennt, verwendet die FLS eher den Mediopunkt.

Bindestrich oder Mediopunkt?

Hier nochmal in Kürze die Regeln zu beiden Optionen.

Netzwerk Leichte Sprache:
Die Worttrennung darf nur im Rahmen der geltenden Regeln erfolgen. Lange Wörter werden möglichst getrennt, und zwar immer mit Bindestrich.
Das wird getrennt:
– zusammengesetzte Substantive nach den Regeln des Duden, z. B. Wahl-Recht, Frauen-Haus, Kinder-Arzt.
Das wird nicht getrennt:
– Wortteile oder Silben (nach-haltig, Ver-spätung)
– Eigennamen (Arbeiterwohlfahrt)
Das wird vermieden:
– mehrere Trennungen in einem Wort (Fliesen-Leger-Fach-Betrieb)
Generell sollte die Trennung von Wörtern sehr sparsam verwendet werden, da sie einen starken Eingriff in die Sprache darstellt.

FLS Uni Hildesheim:
Auch die FLS sagt: Der Bindestrich darf nur im Rahmen der Orthografieregeln verwendet werden. Das hat zur Folge, dass lange Wörter nicht trennbar sind, wenn man die Regeln der Orthgrafie nicht verletzen will; der Lesefluss ist erschwert; die Zielgruppe für Leichte Sprache könnte möglicherweise vor langen Wörtern kapitulieren.

Als Alternative zum Bindestrich schlägt die FLS den Mediopunkt vor. Der Mediopunkt ermöglicht eine “sanfte optische Markierung morphologischer Fugen” (Quelle: Leichte Sprache, Theoretische Grundlagen, Orientierung für die Praxis, Duden-Verlag , 2016), also die Darstellung von Wortgrenzen, ohne dass die Regeln der Orthografie verletzt werden. Mit Hilfe des Mediopunkts lassen sich also Wortgrenzen in langen Wörtern aufzeigen, ohne den Gesamtbegriff in zwei Einzelteile zu zerlegen wie beim Bindestrich.

Ein Beispiel: Es ist nicht möglich, den Begriff Milchstraße mit Bindestrich zu trennen (in Milch-Straße), denn dadurch werden falsche Assoziationen geweckt. Aber dennoch ist es sinnvoll und notwendig, die Wortgrenzen des Begriffs aufzuzeigen, um ihn besser lesbar zu machen. Schauen Sie mal, wie viele Konsonanten in Milchstraße hintereinander stehen (lchstr)! Ein ungeübter Leser wird hier Probleme haben. Und hier kommt der Mediopunkt ins Spiel: Der Mediopunkt trennt die Begriffe optisch voneinander und hat ansonsten keine weitere Funktion. Nach dem Mediopunkt wird klein weitergeschrieben, um den Lesefluß nicht weiter zu stören (Milch·straße).

Konsens in der Worttrennung

Beide Schulen sind sich einig in Folgendem:

  • Grundsätzlich sollten lange Begriffe vermieden werden; finden Sie am besten kurze Synonyme.
  • Die Worttrennung darf nicht den Sinn des Wortes verändern. Folgende oder ähnliche Begriffe dürfen nicht mit Bindestrich getrennt werden, weil sie den Sinn verändern: Bildschirm, Handschuh, Armleuchter, Löwenzahn. Einzeln für sich betrachtet bedeuten die beiden Wortteile etwas anderes als zusammengefügt.
  • Eigennamen werden nicht getrennt, auch wenn sie lang und umständlich sind. Sie müssen aber erläutert werden, sobald sie im Text auftauchen.
  • Der Bindestrich hat eine fest definierte Funktion und darf nur im Rahmen der geltenden Regeln verwendet werden. Viele Verwendungsformen des Bindestrichs fallen in der Leichten Sprache ohnehin weg, zum Beispiel die Verbindung von Wortteilen, die nicht miteinander kompatibel sind wie z. B. ein Mix aus englischen und deutschen Begriffen (Bachelor-Arbeit, Cloud-Lösung) oder ein Mix aus Zahlen und Wörtern (3/4-Takt). Das würden wir in der Leichten Sprache möglichst vermeiden und anders ausdrücken. Nur wenn es absolut notwendig ist, dass die Leserschaft den Begriff kennt, wird er mit Bindestrich eingeführt und sofort erläutert. Ansonsten wird der Bindestrich nur verwendet, um lange Aneinanderreihungen aufzuteilen und Fehlinterpretationen zu vermeiden (Druck-Erzeugnis, See-Elefant, Hawaii-Insel).

Anwendung

Wie trennen wir denn nun den Fliesenlegerfachbetrieb?
Ich gehe hier in mehreren Schritten vor: Zunächst teile ich auf in die Bestandteile Fliesenleger und Fachbetrieb.

Fliesenleger
Ich überlege, ob es gute Synonyme gibt, die besser verständlich sind. Für Fliesenleger gibt es kein Synonym, d. h. der Begriff muss erläutert werden. Außerdem möchte ich die Wortgrenze sichtbar machen. Laut Duden ließe sich der Begriff zwar mit mit Bindestrich in Fliesen-Leger teilen (Im Duden ist Leger ein Handwerker, der etwas legt), aber ich entscheide mich für den Mediopunkt (Fliesen·leger), und zwar aus folgenden Gründen:

  • Ich möchte einerseits die Wortgrenzen aufzeigen und andererseits den Begriff als solches erhalten.
  • die Verwendung von Leger als alleinstehender Begriff ist viel zu selten. Übrigens: Ein Blick in den Duden hilft bei der Beurteilung, ob es sich um einen gängigen Begriff handelt. Der Duden gibt Hinweise auf die Häufigkeit des Gebrauchs. Leger wird lt. Duden selten gebraucht, deshalb möchte ich den Begriff nicht durch die Verwendung des Bindestrichs zu einem selbständigen Substantiv aufwerten.
  • Im Zusammenhang mit dem nachfolgenden Begriff Fachbetrieb wirft der Bindestrich die Frage auf, wie der gesamte Begriff im weiteren Verlauf aussieht. Bliebe ich bei der Schreibweise Fliesen-Leger, gäbe es im Folgenden zwei Optionen: Fliesen-Leger-Fachbetrieb und Fliesen-Legerfachbetrieb. Die Durchkoppelung mit mehreren Bindestrichen ist in der Leichten Sprache ein Tabu, scheidet also aus. Wir dürfen nur einen Bindestrich benutzen, was dazu führt, dass wir die Fliesen von dem Legerfachbetrieb trennen. Einen Legerfachbetrieb gibt es aber definitiv nicht, also ist diese Schreibweise nicht erlaubt.

In meinen Augen bleibt hier also nur der Mediopunkt als Ergänzung, um den Begriff Fliesenleger besser lesbar zu machen. Kommen wir zum zweiten Bestandteil:

Fachbetrieb
Es ist einfach, hier ein Synonym zu finden, denn Fachbetrieb heißt nichts weiter als Firma mit Spezialkenntnissen (hier: im Fliesenlegen). Ich ersetze also Fachbetrieb durch Firma und erläutere die Spezialkenntnisse.

Trennung vornehmen

Wenn ich das zusammenfüge, erhalte ich den Begriff Fliesen·legerfirma mit einer nachfolgenden Erläuterung der Spezialkenntnisse. Ich brauche aber noch eine Worttrennung, denn so wie der Begriff sich jetzt zeigt, ist er missverständlich, denn die Bestandteile leger und firma stellen eine ungewollte Einheit dar. Hier kann ich mit dem Bindestrich arbeiten, denn es gibt den Fliesenleger und es gibt die Firma.

Das Ergebnis

Daraus ergibt sich die Schreibweise: Fliesen·leger-Firma, denn diese beiden Begriffe lassen sich orthografisch richtig voneinander mit Bindestrich trennen.

Und zum Abschluss füge ich noch eine Erläuterung an, die je nach Kontext so oder so ähnlich lauten könnte: Fliesen sind kleine oder große Platten. Wir legen Fliesen auf den Boden. Oder wir machen Fliesen an die Wand.

Die Schreibweise Fliesen·leger-Firma ist übrigens die Lesart der FLS. Das Netzwerk Leichte Sprache würde vermutlich Fliesenleger-Firma schreiben, da es a) den Mediopunkt nicht verwendet und b) den Begriff Fliesenleger nicht auch noch mit einem zweiten Bindestrich trennen dürfte.

Hier sieht man sehr schön, dass der Mediopunkt durchaus eine Bereicherung in der Leichten Sprache sein kann. Aber er wird nach wie vor mit Argwohn beäugt, könnte man sagen, insbesondere, wenn dann ein solcher Mix aus Bindestrich und Mediopunkt entsteht wie hier gezeigt. Dennoch ist meiner Ansicht nach dies die einzig gute Möglichkeit, den Begriff Fliesenlegerfachbetrieb sinnvoll in seine Bestandteile zu zerlegen.

Nachtrag zu meinem letzten Post:

Gerade stoße ich wieder auf ein Wortungetüm: “Bestelleingangsbestätigung“. Ich könnte jetzt dieselbe Prozedur wie oben wieder anwenden und das Wort auftrennen. Aber warum so kompliziert? Man könnte doch auch schreiben: “Wir bestätigen Ihre Bestellung”. Tja, es könnte so leicht sein …