Übersetzungen in Leichte Sprache

Übersetzungen in Leichte Sprache sind eines sicher nicht: leicht. Anders als bei fremdsprachlichen Übersetzungen greife ich viel tiefer in den Ausgangstext ein, wenn ich einen Text in Leichte Sprache übersetze. Außerdem werde ich gestalterisch tätig und passe das Aussehen des Textes an die Bedürfnisse der Zielgruppe an. Am Ende ist ein völlig neues Produkt entstanden, das mit der Bezeichnung „Übersetzung“ eigentlich nicht adäquat beschrieben ist.

Übersetzungen aus einer Fremdsprache

Übersetze ich einen Text aus dem Englischen ins Deutsche, bin ich in vielerlei Hinsicht an den Ausgangstext gebunden: Fachlichkeit des Textes, Duktus, Textlänge, Wortwahl – all das muss in der Übersetzung möglichst erhalten bleiben. Ist der Ausgangstext umständlich formuliert und kommt nicht auf den Punkt, kann ich das in der Übersetzung nur bedingt ausgleichen. Genausowenig kann ich einen langatmigen Text einfach umstellen und die wichtigste Info an den Anfang rücken, wie ich es in Leichter Sprache tue. Bestenfalls schaffe ich es, aus einem schlechten Ausgangstext einen etwas besseren Zieltext zu machen. Aber als Fremdsprachenübersetzerin bin ich nicht die Urheberin des Textes, sondern nur diejenige, die den Inhalt in eine andere Sprache überträgt, und das so eng am Ausgangstext wie möglich.

Übersetzungen in Leichte Sprache funktionieren anders

Bei Übersetzungen in Leichte Sprache ist das völlig anders. Allein schon die Vorgehensweise unterscheidet sich grundlegend. Gehe ich bei der fremdsprachlichen Übersetzung satzweise vor, habe ich bei der Übersetzung in Leichte Sprache ein ganz anderes Ziel: Ich lasse einen völlig neuen Text erstehen, der in Aussehen, Duktus, Textlänge und Wortwahl nichts mehr mit dem Ausgangstext gemeinsam hat. Der Ausgangstext ist lediglich meine Grundlage für die Informationen, die ich im Leichte-Sprache-Text vermitteln muss. In diesem Sinne bin ich bei der Übersetzungen in Leichte Sprache in der Tat die Urheberin. Ich schaffe also etwas völlig Neues, und zwar auf Grundlage der Informationen, die mir im Ausgangstext zur Verfügung stehen. Und deshalb müsste man eigentlich nicht von Übersetzung, sondern von Umgestaltung oder Transformation sprechen.

Vorgehensweise bei Übersetzungen in Leichte Sprache

Bei einer Übersetzung in Leichte Sprache stelle ich u.a . folgende Überlegungen an, bevor ich überhaupt mit der Übersetzung beginne:

  • Was ist die wichtigste Information für den Leser? Was muss an den Anfang? Gibt es eine Handlungsaufforderung, z. B. muss der Leser etwas unterschreiben oder sich irgendwo melden? Dann muss das an den Anfang und deutlich herausgestellt werden.
  • Gibt es Inhalte, die ich vielleicht weglassen kann? Das können z. B. Inhalte sein, die mit der Lebensrealität der Zielgruppe wenig zu tun haben wie beispielsweise Erläuterungen darüber, welchem Träger eine Organisation angeschlossen ist und ob bzw. welche Förderung es (z. B. für ein bestimmtes Projekt) gibt und durch welches Ministerium, oder auf welchem Recht und welchem Paragrafen eine Information beruht.
  • Gibt es Begriffe, die sehr wichtig sind und erläutert werden müssen? Wie vertraut ist die Zielgruppe vermutlich mit den Fremdwörtern oder schwierigen Begriffen im Ausgangstext? Wie wichtig sind diese Begriffe für das Textverständnis? Wie detailliert muss ich diese Begriffe erläutern? Und: Brauche ich die Begriffe überhaupt, oder kann ich auch mit Synonymen arbeiten?

Überlegungen zu Layout und Design

Bei Übersetzungen in Leichte Sprache geht es nicht nur um den reinen Text. Auch die visuelle Gestaltung ist extrem wichtig. Dieser Punkt wird leider häufig unterschätzt. Was die Gestaltung angeht, so muss ich mir u. a. folgende Fragen stellen:

  • Kann ich das bestehende Format überhaupt verwenden? Geht es um einen DIN A4-Flyer, der zweimal gefaltet ist und die Schrift darauf dementsprechend klein? Ich muss mir also Gedanken machen, wie gut die Zielgruppe vermutlich mit dem Endformat zurechtkommt. So kann eine komplizierte Faltung beispielsweise schon eine große Hürde darstellen. Und wie groß kann ich die Schrift auf dem Flyer machen, damit der Text auf der einen Seite lesbar ist und auf der anderen Seite noch auf den Flyer passt?
  • Gibt es ein Corporate Design und ist es für die Leichte Sprache geeignet? Wenn nicht, wie kann ich das schwer lesbare Design – was meist leider vorgegeben ist – mit den Bedingungen für Leichte Sprache einigermaßen in Einklang bringen? Wie gehe ich mit den vorgegebenen Farben um? Sind sie kontrastreich genug, oder muss ich mit dem Auftraggeber über eine abweichende Farbgestaltung verhandeln?
  • Welche Bilder brauche ich für den Text? Die Zielgruppe für Leichte Sprache profitiert deutlich von Illustrationen, Grafiken oder Zeichnungen, um einen Sachverhalt besser verstehen zu können. Also setzen wir bei Übersetzungen in Leichte Sprache wo immer möglich auch Illustrationen ein. Das ist für den Auftraggeber häufig sehr ungewohnt und ist für uns Übersetzer oft schwierig zu vermitteln.
  • Wenn es um eine Webseite geht: Wie gut ist die Webseite bedienbar? Wie viele Menüpunkte kann ich der Zielgruppe zumuten? Wie viele Infos kann ich so unterbringen, dass der Leser nicht scrollen muss (was möglicherweise eine Hürde darstellt)? Wie kann die Leichte-Sprache-Seite so in die Webseite eingebettet werden, dass sie für die Zielgruppe gut auffindbar ist?

Es ist also keinesfalls so, dass man „mal eben“ eine Übersetzung in Leichte Sprache macht, wie es bei Fremdsprachen der Fall ist. Es gibt so viele Dinge zu beachten, die potenzielle Hürden für die Zielgruppe darstellen und die es zu vermeiden gilt.

Leichte Sprache als völlig eigenständiges Konstrukt

Eine Übersetzung in Leichte Sprache ist eine Neuschöpfung. Sie ist ein ganz eigenes Konstrukt mit einem ganz eigenen Aussehen. Und was für einen Standardtext vielleicht ansprechend aussieht, ist für die Leichte Sprache oft gar nicht geeignet. Das ist leider in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt. Oft erhalte ich Anfragen für die Übersetzung von Webseiten-Inhalten. Im Vorfeld wurde dann die neue Webseite konzipiert, designt und eingerichtet, und ganz zum Schluss braucht man noch die Übersetzung in Leichte Sprache. Dann stehe ich vor Problemen wie diesen: Die gewählten Farben müssen erhalten bleiben, sind aber nicht kontrastreich genug für die Zielgruppe; die Schrift des Corporate Designs ist zu verschnörkelt und für die Zielgruppe schlecht lesbar; die Gestaltung der Webseite ist für die Zielgruppe schlecht bedienbar und die Unterseite für Leichte Sprache kann nicht so prominent platziert werden, wie ich es mir wünschen würde; oder der Auftraggeber findet Illustrationen für Leichte Sprache doof und will sie nicht auf seiner Seite haben.

Leichte Sprache sollte immer „mitgedacht“ werden

Dabei wäre es so viel besser und zielorientierter, wenn wir Übersetzer für Leichte Sprache schon ganz am Anfang bei der Webseitenkonzeption in die Gestaltung mit eingebunden wären, um darauf hinzuwirken, dass Design, Farbwahl und Kontraste auch für die Zielgruppe der Leichten Sprache tauglich sind. Im Bundesland Sachsen gibt es eine hervorragende Webseite, die die wichtigsten Punkte sehr anschaulich erläutert.

Haben Sie auch vor, Ihre Webseite zu überarbeiten? Benötigen Sie dafür auch Leichte Sprache oder barrierefreie Kommunikation? Dann binden Sie die Übersetzerin für Leichte Sprache möglichst früh in den Gestaltungsprozess mit ein. Ein guter Übersetzer, eine gute Übersetzerin berät Sie umfassend und erarbeitet mit Ihnen bzw. dem Webseiten-Designer ein gutes Konzept, das für alle gleichermaßen ansprechend und zugänglich ist. Inklusiv eben.

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