Übersetzer für Leichte Sprache werden von verschiedenen Anbietern ausgebildet
Die Zahl der Übersetzer für Leichte Sprache wächst stetig. Das ist kein Wunder, denn der Bedarf ist enorm und wird in den nächsten Jahren auch weiter stark ansteigen. Gut, dass sich viele dafür entscheiden, Übersetzerin oder Übersetzer für Leichte Sprache zu werden. Aber wer tummelt sich so auf dem Markt, gibt es Unterschiede in der Ausbildung und wie finden Sie die richtige Übersetzerin, den richtigen Übersetzer für Ihr Projekt? Das möchte ich kurz erläutern.
Grundsätzlich lassen sich drei wichtige Anbieter ausmachen, die mehrmodulige Qualifizierungskurse anbieten, die jeweils mit einer Prüfung abschließen. Es soll in diesem Artikel ausdrücklich nicht um kurze Einführungskurse oder Infoveranstaltungen über Leichte Sprache gehen, sondern um hochwertige Kurse, an deren Ende eine Prüfung steht und den Absolventen befähigt, sich Übersetzerin oder Übersetzer für Leichte Sprache zu nennen.
Ich stelle Ihnen diese drei Anbieter vor:
- Netzwerk Leichte Sprache
- Uni Hildesheim
- Capito
Das Netzwerk Leichte Sprache
Organisationen wie die Caritas Augsburg oder die Lebenshilfe Bremen bieten Fortbildungen nach den Regeln des Netzwerks Leichte Sprache an. Diese Regeln sind die ältesten und enstanden aus der Selbsthilfebewegung, sind also sehr deutlich geprägt von Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten. Menschen, die soziale Arbeit leisten, waren demnach auch die ersten, die Übersetzungen in Leichte Sprache angeboten haben. Für das Netzwerk Leichte Sprache ist das Textverständnis für die Zielgruppe viel wichtiger als korrektes Deutsch. So erlaubt das Netzwerk Schreibweisen, die in punkto Grammatik und Rechtschreibung nicht immer den Regeln entsprechen. Dieser Ansatz ist sehr pragmatisch und zeigt deutlich, dass hier keine Sprachwissenschaftler, sondern Sozialarbeiter und Sozialpädagogen die Regeln erstellt haben.
Pro:
- Das Netzwerk Leichte Sprache hat das Wohl der Leserschaft genau im Blick. Texte werden so konzipiert, dass die Zielgruppe einen maximalen Verständnisgewinn erzielt.
- Im Sinne von Inklusion und Teilhabe testet eine Prüfgruppe den übersetzten Text auf Verständlichkeit. Die Prüfgruppe besteht häufig aus Menschen mit Lernschwierigkeiten, kann aber auch Personen beinhalten, deren Muttersprache nicht Deutsch ist oder die andere Schwierigkeiten haben wie z. B. eine Seh- oder Leseschwäche. Die Ergebnisse dieser Textprüfung sind zwar nicht repräsentativ – und der Übersetzer für Leichte Sprache muss die Änderungswünsche nicht zwingend umsetzen – aber sie geben ein Stimmungsbild ab, ob der Text bei der Zielgruppe funktioniert.
Contra:
- Die teils falsche Schreibweise und Interpunktion ist maßgeblicher Grund dafür, dass Leichte Sprache in der Bevölkerung immer noch ein Akzeptanzproblem hat. Übersetzerinnen und Übersetzer für Leichte Sprache, die nach den Regeln des Netzwerks schreiben, sehen sich häufig der Kritik ausgesetzt, dass sie der Zielgruppe “falsches” Deutsch beibringen. Ein wichtiges Ziel der Leichten Sprache ist es, die Zielgruppe behutsam an das Lesen heranzuführen mit dem Ziel, die Lesekompetenz zu stärken und zumindest einigen den Übergang zur deutschen Standardsprache zu ermöglichen. Lernt die Person aber von Anfang an eine falsche Schreibweise, wird sie es schwer haben, dies später wieder abzulegen. Fairerweise muss ich hinzufügen, dass zumindest die Lebenshilfe mittlerweile empfiehlt, die kritisierte Art der Worttrennung nur sparsam einzusetzen und stattdessen lieber kurze Synonyme zu verwenden.
Beispiele:
- Das Netzwerk trennt Wörter für bessere Lesbarkeit in ihre Bestandteile auf, z. B. Bundes-Gleichstellungs-Gesetz oder Lese-Brille. Nach den geltenden Orthografieregeln ist dies nicht erlaubt, denn es dürfen nur Grundformen getrennt werden. Die oben gezeigte Form der Trennung ist in der Standardsprache einzig am Zeilenende erlaubt (wobei in der Leichten Sprache ohnehin niemals am Zeilenende getrennt wird).
- Nebensätze löst das Netzwerk Leichte Sprache oft mit einem Doppelpunkt auf: Gehen Sie zum Arzt: Wenn Sie Schmerzen haben. Das Satzfragment hinter dem Doppelpunkt ist aber kein richtiger Satz (Subjekt, Prädikat, Objekt, Sie erinnern sich bestimmt an Ihren Deutschunterricht!), und so führen solche Schreibweisen zu Recht zu Irritationen bei lesekompetenten Menschen.
Universität Hildesheim
Der Fachbereich Sprach- und Informationswissenschaften der Universität Hildesheim bietet mittlerweile einen Master-Studiengang in Barrierefreier Kommunikation an. Leichte Sprache ist dabei nur ein Aspekt von vielen. Die Forschungsstelle Leichte Sprache der Uni Hildesheim hat vor einigen Jahren eigene Regeln entwickelt und dabei einen rein sprachwissenschaftlichen Ansatz verfolgt. Dies unterscheidet sie wesentlich vom Netzwerk Leichte Sprache, bei dem der Inklusionsaspekt weit im Vordergrund steht. Die FLS verzichtet auf die Textprüfung durch die Zielgruppe und argumentiert, dass dies nicht zu einer besseren Textqualität führt. Jedoch arbeitet die FLS in ihrer Forschung zu Leichter Sprache mit prälingual Hörgeschädigten zusammen, hat also durchaus auch Teile der Zielgruppe im Blick. Eine Weile lang bot die FLS neben dem regulären Studium auch Qualifizierungskurse für Übersetzer in Leichte Sprache an; momentan jedoch pausiert das Programm.
Um Wortgrenzen deutlich zu machen, hat die FLS den Mediopunkt eingeführt. Hier handelt es sich ausdrücklich nicht um ein Satzzeichen, sondern um eine Lesehilfe. (Hier finden Sie übrigens einen Blogbeitrag, der sich ausschließlich mit den verschiedenen Möglichkeiten der Worttrennung befasst.) Die FLS argumentiert, dass der Mediopunkt unübersichtliche Begriffe besser lesbar macht und im Gegensatz zum Bindestrich nicht zu einer falschen Schreibweise führt.
Pro:
- Die FLS der Uni Hildesheim legt absoluten Wert auf korrekte Schreibweise und Grammatik und duldet hier keine Ausnahmen.
- Sie schlägt vor, komplexe Wörter durch den Mediopunkt zu trennen, um das Problem der falschen Schreibweise zu umgehen.
Contra:
- Die FLS steht auf dem Standpunkt, dass Leichte-Sprache-Texte durch den sprachwissenschaftlichen Ansatz maximal vereinfacht werden und eine Prüfung durch die Prüfgruppe nicht erforderlich ist. Dadurch entfällt der Aspekt der Teilhabe, der durch die Textprüfung ansonsten erzielt werden könnte. Die Zielgruppe für Leichte Sprache spielt bei der Bewertung der Qualität einer Übersetzung für die FLS keine Rolle.
Beispiele:
- Der Mediopunkt wird dort eingesetzt, wo ein Wort in seine Bestandteile getrennt werden muss, um es besser lesbar zu machen. Dabei wird nach dem Mediopunkt – anders als beim Bindestrich – immer klein weitergeschrieben, um deutlich zu machen, dass es sich immer noch um ein zusammenhängendes Wort handelt, z. B. Bundes∙gleichstellungs∙gesetz oder Lese∙brille.
- Nebensätze werden bei der FLS nach einem festen Schema aufgelöst, je nachdem, um welche Art von Nebensatz es sich handelt. Der oben zitierte Satz sieht bei der FLS so aus: Haben Sie Schmerzen? Dann gehen Sie zum Arzt.
Capito
Capito ist ein Franchise-Unternehmen, das nach seinen eigenen Regeln arbeitet und drei verschiedene Sprachniveaus gestaffelt nach Schwierigkeitsgrad anbietet. Übersetzerinnen und Übersetzer für Leichte Sprache, die von Capito ausgebildet werden, kaufen sich in das Franchise-System ein und werden Qualitätspartner.
Pro:
- Die Kennzeichnung der verschiedenen Sprachniveaus ist häufig sinnvoll und weist den Leser gleich zu Beginn auf die zu erwartende Schwierigkeitsstufe hin.
- Auch Capito arbeitet mit Prüfgruppen, die den übersetzten Text auf Verständlichkeit prüfen.
Contra:
- Capito arbeitet, wie gesagt, nach eigenen Regeln für Leichte Sprache, die nicht offengelegt werden, solange man sich nicht in das System einkauft. Das ist intransparent. Außerdem gibt es keinen triftigen Grund, warum ein Übersetzer für Leichte Sprache Qualitätspartner bei Capito werden muss, um seine Dienstleistungen anzubieten. Hier scheinen kommerzielle Interessen im Vordergrund zu stehen.
Fazit
Es gibt nicht “den einen” richtigen Weg. Jede Übersetzung in Leichte Sprache sieht anders aus und jede Übersetzerin, jeder Übersetzer hat eine ganz eigene Perspektive auf die Arbeit. Sind Sie ein Sprachästhet und stören sich an den Bindestrichen? Dann achten Sie darauf, eine Übersetzerin bzw. einen Übersetzer für Leichte Sprache zu finden, der den Mediopunkt verwendet. Haben Sie eine enge Bindung zur Zielgruppe und liegt es Ihnen am Herzen, die Zielgruppe nicht außen vorzulassen? Dann wenden Sie sich an jemanden, der Ihnen auch eine Textprüfung durch die Zielgruppe anbietet. Mediopunkt und Textprüfung schließen sich übrigens nicht gegenseitig aus. Ich zum Beispiel verwende den Mediopunkt der FLS und lasse meine Texte auf Wunsch auch von einer Prüfgruppe der Lebenshilfe prüfen. Das geht also auch.
Fragen Sie ruhig, nach welchen Regeln die Übersetzerin oder der Übersetzer für Leichte Sprache arbeitet. Das gibt Ihnen einen Hinweis darauf, ob hier der sozialpädagogische oder der sprachliche Aspekt im Vordergrund steht. Kommen Sie miteinander ins Gespräch und loten Sie aus, was Ihnen wichtig ist. Eine gute Übersetzerin, ein guter Übersetzer für Leichte Sprache wird Sie durch den gesamten Übersetzungsprozess begleiten und objektiv informieren, wie Ihr Text zu einem gut funktionierenden Text in Leichter Sprache wird.
Bildquellen
- lukas-blazek-GnvurwJsKaY-unsplash: Photo by Lukas Blazek on Unsplash | CC0 1.0 Universal