Leichte Sprache: Textprüfung und Prüfgruppen

Oder: Wozu gibt es Prüfgruppen und Textprüfung für Leichte Sprache?

Texte in Leichter Sprache werden üblicherweise von speziell dafür ausgebildeten Übersetzern und Übersetzerinnen erstellt. Oder zumindest sollte das so sein, denn es gilt, feste Regeln anzuwenden, um auch wirklich einen Text zu erschaffen, der für eine konkrete Zielgruppe auf sinnvolle Weise vereinfacht wurde. Das ist also die erste Komponente eines Textes in Leichter Sprache: Er wird von einem Menschen geschrieben, der alle Regeln der Leichten Sprache beherrscht und sie kenntnisreich umsetzt.

Die zweite Komponente eines Textes in Leichter Sprache ist die Textprüfung, um die es hier im Besonderen gehen soll. Was genau verbirgt sich dahinter? Wieso braucht die Übersetzerin jemanden, der ihre Texte prüft? Und was genau wird geprüft? Darauf will ich im Folgenden genauer eingehen.

Nicht über die Zielgruppe, sondern mit der Zielgruppe

Leichte Sprache ist entanden aus der Selbstbestimmungsbewegung von Menschen mit Lernschwierigkeiten (hier nochmal genauer im Detail erläutert). Ihr Motto lautet: Nichts über uns – ohne uns! Und so ist es selbstverständlich, dass wir Betroffene mit einbeziehen, wenn wir neue Texte in Leichter Sprache erstellen. Das geschieht, indem wir Menschen aus der Zielgruppe den übersetzten Text vorlegen und sie um ihre Einschätzung bitten, wie verständlich der Text ist.

Bei der Textprüfung geht es also nicht darum, Tippfehler oder grammatikalische Unsicherheiten aufzuspüren. Darum kümmert sich der Übersetzer bzw. die Übersetzerin. Bei der Textprüfung geht es vielmehr darum zu testen, ob die Inhalte einfach genug sind und ob sie ihre Funktion erfüllen, nämlich, dem Leser den Zugang zu Informationen zu ermöglichen, der ihm durch die Standardsprache verwehrt wird. Bei der Textprüfung wird der Mensch aus der Zielgruppe zum Experten in eigener Sache und muss als solcher auch unbedingt ernst genommen werden.

Das Netzwerk Leichte Sprache geht sogar so weit zu sagen: Ein Leichte-Sprache-Text kann nur dann veröffentlicht werden, wenn er von Prüfern als verständlich eingeschätzt wurde. Erst dann ist der Schreibprozess abgeschlossen. Jedoch möchte ich anfügen, dass die Ergebnisse aus der Textprüfung für mich nicht bindend sind. Ich nehme sie zur Kenntnis, prüfe sie und wäge ab, ob die Änderungsvorschläge sinnvoll und mit den Regeln vereinbar sind. Die finale Entscheidung, ob und wie der Text nach der Prüfung angepasst wird, liegt bei mir als Übersetzerin.

Prüfer schulen – ja oder nein?

Die Prüfer sind also Menschen aus der Zielgruppe, häufig Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten arbeiten, aber auch Menschen mit geringen Deutschkenntnissen oder Menschen, die nie gelernt haben zu lesen. Einige Prüfer und Prüferinnen haben im Vorfeld eine Schulung oder Weiterbildung zum Prüfen von Leichte-Sprache-Texten absolviert. Es gibt einige Büros, die solche Schulungen anbieten. Andere erhalten vor Beginn der Prüfung eine Einweisung. Die Schulung oder Fortbildung der Prüfgruppen wird kontrovers diskutiert. Befürworter von Schulungen argumentieren, dass die Prüfer nach einer Schulung genauer verstehen, worum es geht und zielgerichteter antworten können, wodurch eine höhere Qualität der Texprüfung erzielt werden kann. Die Ablehner von Schulungen hingegen befürchten, dass die Prüfer sich durch eine Schulung zu Experten entwickeln und damit nicht mehr die Zielgruppe repräsentieren. Das wiederum kann dazu führen, dass eine Prüferin durchaus schwierigiere Texte akzeptiert, die aber für die Mehrheit der Zielgruppe nicht hilfreich sind.

So betrachtet wird klar, dass die Textprüfung durch Menschen aus der Zielgruppe niemals eine fundierte Aussage über die Qualität des Textes erlaubt. Sie ist vielmehr eine subjektive Momentaufnahme. Legen Sie ein und denselben Text verschiedenen Prüfgruppen vor und Sie werden unterschiedliche Rückmeldung hinsichtlich seiner Verständlichkeit erhalten. Aber wir wollen ja keine wissenschaftliche Prüfung. Wir wollen sehen und hören, ob unsere Übersetzung funktioniert; ob die Vereinfachung beim Leser ankommt; ob dem Text ein Sinn entnommen werden kann und ob der Text für die Leserschaft einen Mehrwert stiftet.

Qualität der Textprüfung

Die Textprüfung erfolgt zurzeit je nach Prüfbüro ganz unterschiedlich. Manche führen die Textprüfung eher intuitiv durch, andere arbeiten nach festen Regeln und Abläufen. So kommt es also durchaus zu Unterschieden in der Qualität der Textprüfung. Man muss aber auch festhalten, dass es bislang noch kein einheitliches Schema dafür gibt. Das wird sich aber sicher im Laufe der nächsten Jahre ändern. An der Uni Leipzig gab es von 2014 bis 2018 ein umfangreiches Forschungsprojekt zum Thema Leichte Sprache, was auch die Textprüfung beinhaltete. Wer sich eingehender dafür interessiert, wird hier fündig. Darauf aufbauend wird nun zum Thema Textprüfung geforscht und es ist damit zu rechnen, dass wir in Zukunft noch konkretere und vielleicht sogar verbindliche Emfpehlungen für die Textprüfung erhalten werden.

Prüfmoderation

Nun haben wir also das Dilemma, dass die Prüfung durch die Prüfgruppe an sich nicht repräsentativ ist, wir aber dennoch Qualität in die Textprüfung bringen müssen. Das tun wir durch Moderation: Das A und O einer guten Textprüfung liegt in der Prüfmoderation. Die Prüfmoderation wird von einer Person übernommen, die einerseits mit der Zielgruppe gut vertraut ist und andererseits zumindest die Grundlagen der Regelwerke für Leichte Sprache kennt. Die Übersetzerin selber sollte die Prüfmoderation aus Neutralitätsgründen nicht übernehmen. Besser ist es, eine neutrale Person einzuschalten, die nicht an der Übersetzung mitgewirkt hat, sonst könnte die Übersetzerin ja unwillkürlich durch gezielte Fragen erreichen, dass ihre Übersetzung für gut befunden wird.

Und das bringt uns zum eigentlichen Grund, warum die Prüfmoderation so wichtig ist: Wir brauchen eine neutrale Beobachtungsweise und eine klare Fragestruktur, um folgende zwei Kernfragen möglichst konkret zu beantworten:

  • An welchen Stellen ist der Text unverständlich?
  • Was genau ist daran unverständlich?

Der Prüfprozess

Um möglichst hochwertige Antworten auf diese zwei wichtigen Fragen zu erhalten, kommen verschiedene Methoden der Texprüfung in Betracht. Je nach Fähigkeiten der Prüfgruppe arbeiten sich die Prüfer jeweils alleine durch den Text und markieren die Passagen, die ihnen schwierig erscheinen. Im Anschluss diskutiert die Gruppe über die Textstellen. Alternativ können die Prüfer nacheinander einzelne Textstellen vorlesen und laut darüber nachdenken. Andere Methoden der Befragung wie z. B. eine leitfadengestützte Befragung oder sogar die Beantwortung eines Fragebogens zum Thema erfordern extrem viel Vorbereitung. Außerdem verleiten sie Prüfer und Prüferinnen, mit Ja oder Nein zu antworten. Das aber wollen wir vermeiden. Es ist viel zielführender, offene Fragen zu stellen. Also: „Welche Wörter oder Sätze finden Sie schwierig?“ statt „Haben Sie den Satz verstanden?“

Wichtig ist auch, die Prüfgruppe nach ihren Verbesserungsvorschlägen zu fragen. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass dabei manchmal sehr naheliegende und plausible Vorschläge gemacht werden, auf die ich nicht gekommen wäre.

Darüber hinaus sollte das Textverständnis möglichst auf verschiedenen Ebenen abgefragt werden, z. B. „Worum geht es in dem Text?“ Im Vorfeld der Prüfung sollte übrigens dem Auftraggeber die Möglichkeit gegeben werden, sich zu äußern, welche Details im Text ihm besonders wichtig sind. In der Prüfmoderation wird dann abgefragt, ob diese Informationen bei der Leserschaft angekommen sind. Und schließlich ist noch wichtig zu wissen, ob die Prüfer eine Schlussfolgerung aus dem Text ziehen können. Also: Was will der Text? Will er mich informieren, will er mich zu einer Handlung auffordern, will er mich unterhalten?

Zusammenfassung

Das Prüfen von Leichte-Sprache-Texten durch Menschen aus der Zielgruppe ist elementarer Bestandteil des Übersetzungsprozesses und geschieht aus Gründen des Respekts und der Inklusion. Ziel der Prüfung ist es zu erfahren, an welchen Stellen der Leichte-Sprache-Text für die Prüfgruppe unklar ist und wie er verbessert werden könnte. Die Ergebnisse der Prüfung nutzt der Übersetzer, um die Übersetzung ggf. anzupassen. Einige Prüfbüros schulen ihre Prüfer. Die Schulung von Prüfgruppen wird kontrovers diskutiert und bislang gibt es kein einheitliches, empfohlenes Prüfverfahren, was zu Qualitätsunterschieden in der Prüfung führt. Wichtigstes Element der Textprüfung ist eine gute Prüfmoderation: Offene Fragen, ausreichend Gelegenheit für die Prüfgruppe, ihre Meinung zu äußern und Abfragen des Textverständnisses auf mehreren Ebenen führen am Ende zu gut verwertbaren Ergebnissen. Am Ende des Prüfprozesses entscheidet die Übersetzerin, ob und welche Änderungen am Text vorgenommen werden.

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