Es steht nicht gut um die Umsetzung der BITV 2.0

Viele öffentliche Stellen haben die BITV 2.0 noch nicht umgesetzt

Die gute Nachricht vorweg: Barrierefreiheit heißt heute mehr als nur Schriftgröße ändern und Text vorlesen. Wir haben auf Webseiten nun auch Gebärdensprache, Audiodeskription, Untertitel, responsive web design, um nur einige zu nennen. Das ist aber alles nicht aus lauter Menschenfreundlichkeit passiert, sondern wird vom Gesetzgeber gefordert. Letztes Jahr habe ich schon einmal eine Bestandsaufnahme gemacht, was den Stand der Gesetzgebung angeht. Wer sich dafür interessiert, bitte hier lesen. Wie steht es denn nun mit der Umsetzung der BITV 2.0?

Die Vorgabe, Online-Texte barrierefrei zu gestalten, ist Resultat der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0). Die Verordnung gilt – “momentan”, muss man sagen, aber dazu komme ich später – für Behörden und Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen in Deutschland. Bereits seit September 2020 müssten alle Webseiten oben genannter Einrichtungen barrierefrei gestaltet sein. Das ist leider noch nicht flächendeckend umgesetzt worden. Woran kann das liegen?

Warum so zögerlich?

Geld spielt natürlich eine Rolle. Klar. Die Budgets sind knapp im öffentlichen Sektor und Ausgaben für die Verbesserung einer bestehenden Webseite rangieren nicht weit oben auf der Prioritätenliste. Aber das alleine kann es doch nicht sein. Vielleicht liegt ein weiteres Problem darin begründet, dass die Akteure nicht klar identifiziert werden können. Was muss denn alles barrierefrei gemacht werden? Und wer kümmert sich darum? Das kann ein Web-Entwickler sein, das kann eine Agentur sein, die sich auf Online-Präsenzen spezialisiert hat, oder das kann ein Freelancer sein, der alles Mögliche rund um IT anbietet.

Aber damit ist es noch nicht getan. Die Umsetzung der BITV 2.0 beinhaltet nämlich in Paragraph 4 auch noch einen Passus, demzufolge jede Website einer öffentlichen Stelle bestimmte Erläuterungen in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache bereitstellen muss, und zwar auf der Startseite. Dazu braucht es dann einen Übersetzer bzw. eine Übersetzerin für Leichte Sprache. Fazit: Es sind also mehrere Akteure involviert. Manche Anbieter bieten alles aus einer Hand (barrierefreie Entwicklung der Webseite plus Leichte Sprache plus Gebärdensprache), andere nur den einen bzw. anderen Service. Ich persönlich mache ja auch “nur” die Übersetzung in Leichte Sprache, aber ich empfehle immer Kollegen und Kolleginnen, die Gebärdensprache anbieten bzw. IT-Unternehmen, die sich um die barrierefreie Entwicklung kümmern. Auf diese Weise nehme ich meine Kunden an die Hand und leite sie weiter zum nächsten kompetenten Kollegen für den nächsten Fachbereich.

Was genau muss laut BITV 2.0 technisch umgesetzt werden?

Die Webseiten müssen derart gestaltet sein, dass sie uneingeschränkt barrierefrei nutzbar sind. Genauer gesagt müssen Menschen mit Behinderung uneingeschränkt auf Informationen und Dienstleistungen, die elektronisch angeboten werden, zugreifen können. Das bezieht sich insbesondere auf Verwaltungsabläufe und Vorgangsbearbeitungen. Kurz gesagt: Die gesamte Interaktion zwischen Bürger(in) mit Behinderung und öffentlicher Stelle soll uneingeschränkt barrierefrei sein. Ein hehres Ziel. Aber: Was nützt die beste barrierefreie Technik, wenn es keine bürgernahe Sprache gibt? Und das bringt uns zum nächsten Aspekt der Umsetzung der BITV 2.0: Die Leichte Sprache.

Was muss in Leichter Sprache umgesetzt werden?

Wünschenswert wäre es natürlich, dass sämtliche Inhalte in klarer, gut verständlicher Sprache formuliert wären. Aber dafür ist die öffentliche Verwaltung ja nicht bekannt. Und die Umsetzung wäre geradezu utopisch. Deshalb wurde es in der BITV 2.0 folgendermaßen geregelt: Auf der Startseite der Webseite muss es eine Information in Leichter Sprache (und in Gebärdensprache) geben. Folgende Inhalte müssen in Leichter Sprache und in Gebärdensprache vorgehalten werden:

  1. Informationen zu den wesentlichen Inhalten
  2. Hinweise zur Navigation
  3. eine Erläuterung der wesentlichen Inhalte der Erklärung zur Barrierefreiheit
  4. Hinweise auf weitere in diesem Auftritt vorhandene Informationen in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache.

Wer übrigens die BITV 2.0 im Wortlaut nachlesen möchte, kann das hier tun.

2025 wird das Jahr der barrierefreien Online-Shops

Noch einmal zur Verdeutlichung: All das hier Beschriebene gilt zurzeit nur für öffentliche Stellen. Aber die Entwicklung geht weiter:

Laut EU-Richtlinie 2019/882 müssen ab Juli 2025 auch Online-Angebote von privatwirtschaftlichen Anbietern barrierefrei gestaltet sein. Das bedeutet, dass umfangreiche Anpassungen an Online-Shops vorzunehmen sind. Die Einhaltung der Vorgaben wird geprüft werden und es drohen Bußgelder bei Nichteinhaltung. Spätestens in drei Jahren also wird die Welle der Barrierefreiheit über viele von uns hereinbrechen. Wer schlau ist, sorgt jetzt schon vor und kümmert sich um einen kompetenten Anbieter, der ihm bei der Umsetzung hilft, bevor das Chaos losbricht.

Fazit

Eine kurze, nicht repräsentative Stichprobe bei den Städten und Gemeinden in meinem Umkreis hat ergeben, dass die BITV 2.0 bislang nur unzureichend umgesetzt wurde. Man könnte auch sagen: Je kleiner die Gemeinde, umso weniger ist bisher passiert. Liegt es am knappen Budget? Liegt es an mangelndem Wissen um den richtigen Ansprechpartner? Liegt es an der mangelnden Einsicht, dass wir mehr tun müssen für die, die nicht so gut mithalten können in unserer Gesellschaft?

Meine Hoffnung ist, dass spätestens in drei Jahren das Thema in der breiten Öffentlichkeit so viel Fahrt aufnimmt, dass mehr Druck auf die öffentliche Hand ausgeübt wird, sich des Themas anzunehmen. Es bleibt nach wie vor viel zu tun auf dem Weg zur Inklusion.

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