Die DIN SPEC Leichte Sprache 33429

Vor ziemlich genau einem Jahr wurde der Entwurf für die DIN SPEC Leichte Sprache veröffentlicht. Zwei Monate lang waren alle Interessierten eingeladen, sie zu kommentieren. Seitdem hört und sieht man nichts mehr davon. Lediglich auf dem BarCamp in Marburg wurde vor Kurzem darüber diskutiert. Nutzen wir diese Verschnaufpause, um noch einmal zu rekapitulieren, worum es geht:

Was ist eine DIN SPEC?

Eine DIN Spec ist sozusagen der Vorläufer zur DIN NORM. Hier finden Sie die genaue Erklärung. Das Ziel der DIN SPEC ist es, möglichst schnell eine Art Standard zu schaffen für etwas, das bisher noch nicht standardisiert wurde. Später besteht die Möglichkeit, die SPEC in eine NORM umzuwandeln.

Die DIN SPEC Leichte Sprache 33429

Von einer echten Norm ist Leichte Sprache also noch weit entfernt. Bei DIN heißt es auch ausdrücklich, dass es sich um “Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache” handelt. Also keine verbindlichen Vorschriften.

Trotzdem ist die DIN SPEC Leichte Sprache der bislang erste Versuch, die diversen Regeln für Leichte Sprache in einen einheitlichen Rahmen zu gießen und ihre Anwendung verbindlicher zu machen. Dabei geht die DIN SPEC weit über die sprachlichen Regeln hinaus und befasst sich auch mit der Gestaltung der Texte, der Wahl des richtigen Mediums, mit dem gesamten Erstellungsprozess von Leichte-Sprache-Texten sowie den Kriterien, die Textschaffende, Prüfer und Gestalter erfüllen sollten.

DIN SPEC als Tool für bessere Textqualität

Was soll man nun davon halten? Ist es richtig, Sprache in eine Norm (oder Spec) gießen zu wollen? Ist Verständlichkeit überhaupt objektiv messbar, oder ist sie nicht vielmehr so individuell und subjektiv wie die Sender und Empfänger von Kommunikation in Leichter Sprache?

Egal, wie man zu dieser Frage steht: Regeln sind dazu da, uns Orientierung zu geben. Ohne Duden gäbe es bei uns ein riesiges Rechtschreibungschaos. Idealerweise lassen Regeln uns aber auch genügend Gestaltungsraum für individuelle Entfaltung.

Und so verstehe ich diese DIN SPEC Leichte Sprache: Sie zeigt mir, auf welche Regeln sich das (in diesem Fall sehr große und heterogene) Gremium mehrheitlich einigen konnte. Schwarmwissen sozusagen. Aber am Ende sind es doch nur Empfehlungen. Ich sehe das als Vorteil: Ich muss mich nicht sklavisch an Vorgaben halten, die der Qualität meines Leichte-Sprache-Textes vielleicht sogar im Weg stehen. Wo nötig, habe ich Spielraum, individuelle Lösungen zu finden.

Ich habe mich gefreut zu lesen, dass Leichte Sprache nun endlich den Regeln der Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik entsprechen soll. Also, für mich ist das eine Selbstverständlichkeit. Aber leider sehe ich immer noch viel zu schlechte Texte, die einen Satzpunkt dort verwenden, wo eigentlich ein Komma stehen müsste. (Sie müssen zum Arzt. Weil Sie krank sind.) Da Kommata nicht erlaubt sind in Leichter Sprache, wird mangels Kenntnis um Alternativen ganz hilflos ein Punkt gesetzt. Dabei ist es ganz einfach (Sie sind krank. Deshalb müssen Sie zum Arzt).

DIN SPEC als Verkaufsargument

Mit solch hilflos anmutenden Texten ist es dann hoffentlich bald vorbei. Es gibt präzise Regeln dazu, wie Nebensätze aufgelöst werden können und kein Komma erforderlich ist. Es gibt auch präzise Regeln, wie man schwierige Texte mit vielen Substantivierungen oder Passivsätze gut auflöst. Aber: Diese Regeln setzen voraus, dass sich der oder die Textende einigermaßen mit Grammatikbegriffen und -inhalten auskennt. Wer da Lücken hat, muss nachlernen. Und deshalb ist es gut, dass es die DIN SPEC gibt. Sie gibt uns Textenden nicht nur Orientierung, sondern sie stärkt das Sprachniveau von Leichter Sprache. Und damit spielt sie uns in die Hände, die ohnehin großen Wert auf gutes und korrektes Deutsch legen. Ich kann die DIN SPEC als Verkaufsargument im Kundengespräch einsetzen.

Ich kann dafür sorgen, dass meine Auftraggeber überhaupt von der anstehenden DIN SPEC erfahren und sie bitten, auf Leichte-Sprache-Texte zu bestehen, die dieser SPEC entsprechen. Denn: Wie sonst soll der Kunde beurteilen, ob der Leichte-Sprache-Text, den er eingekauft hat, auch gut ist? Aber der Hinweis, dass der vorgelegte Text den in der DIN SPEC festgelegten Empfehlungen entspricht, ist gleichbedeutend mit einer gewissen Textqualität.

Und deshalb bekommt die DIN SPEC Leichte Sprache 33429 von mir insgesamt ein “Daumen hoch”.

Lob

Und hier noch ein paar Aspekte, die mich ebenfalls gefreut haben, von korrektem Deutsch einmal abgesehen:

Die Genitiv-Regel wurde abgeschwächt. Es ist also nun möglich, den einfachen Genitiv, also die Ergänzung eines -s am Ende des Nomens, zu verwenden: Annas Auto, Kölns marode Straßen, Omas Katze. Das macht einiges einfacher und vermeidet die holprige Formulierung Das Auto von Anna, die wir bisher nutzen mussten. Aber Achtung: Alle anderen Genitivformulierungen wie Das Auto des Lehrers sind weiterhin nicht erlaubt.

Gut ist auch, dass es nicht nur sprachliche Empfehlungen, sondern auch Empfehlungen für die optische und grafische Gestaltung, die Wahl eines Mediums (z. B. online oder Print) und sogar Empfehlungen für den Entstehungsprozess der Texte gibt. Denn oft genug wird die Bedeutung des Zusammenwirkens von Text, Layout und Grafik nicht erkannt. Nur zusammen ergibt sich ein wertvoller Text für unsere Zielgruppe. Das wird in der DIN SPEC hervorgehoben und ich erwarte, dass diese Empfehlung dazu führen wird, dass wir bald auch optisch bessere Ergebnisse sehen werden.

Weiterhin hat mich der Hinweis gefreut, dass Bilder gezielt für einen Leichte-Sprache-Text angefertigt werden sollten. Vorbei die Zeiten, in denen comichafte, nichtssagende Bildchen neben den Text gepappt wurden. Hoffentlich.

Kritik

Wie bereits gesagt: Die gesamte DIN SPEC Leichte Sprache besteht aus Empfehlungen. Mit einer Ausnahme: In Punkt 9.2 heißt es zur Qualifikation von Prüferinnen und Prüfern: “Menschen mit Lernschwierigkeiten müssen das Prüfen von Leichte-Sprache-Texten erlernen.”

Seltsam, dass dies die einzig wirklich verbindliche Regel im Gesamtwerk sein soll. Dabei ist es höchst umstritten, ob wir wirklich ausgebildete Prüfgruppen benötigen. Mit der im Dokument vorgeschlagenen Ausbildung setzt sich der Prüfer bzw. die Prüferin bereits mit deutlich mehr Vorwissen vom Rest der Zielgruppe ab, hat einen gewissen Vorsprung. Mit zunehmender Prüferfahrung kann es dazu kommen, dass auch schwierigere Texte von der Prüfgruppe als leicht eingestuft werden.

Ich würde wirklich gerne den Grund erfahren, warum dies der einzige Aspekt ist, der in der DIN SPEC so deutlich vorgeschrieben wird. Wer die Antwort weiß, wendet sich gerne an mich. Danke fürs Lesen.

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