Der Mythos vom Bindestrich in Leichter Sprache

Aufzeigen von Wortgrenzen in Leichter Sprache

Ein wichtiger Aspekt der Leichten Sprache sieht vor, lange und komplexe Wörter in ihre Wortbestandteile aufzutrennen, um die Lesbarkeit zu erhöhen. Hier bietet sich der Bindestrich in Leichter Sprache an, aber auch der Mediopunkt. An der Worttrennung lassen sich auch sehr gut die beiden großen Schulen der Leichten Sprache identifizieren: Während das Netzwerk Leichte Sprache und demzufolge die Lebenshilfe und andere zielgruppenorientierten Institutionen für den Bindestrich plädieren, setzt die Forschungsstelle Leichte Sprache (FLS) der Uni Hildesheim, die ja den sprachwissenschaftlichen Ansatz zugrunde legt, auf den Mediopunkt.

Was der Mediopunkt ist und warum er in Leichter Sprache zum Einsatz kommt, habe ich hier bereits erläutert.

Der Mythos vom Bindestrich als „Trennmittel“

Heute ist es mir eine Herzensangelegenheit, die Auftrennung von Wortbestandteilen an sich genauer unter die Lupe zu nehmen, denn aus meiner Sicht hält sich hier hartnäckig ein Mythos, den ich gerne widerlegen möchte.

Der Mythos lautet: Wortgrenzen in Leichter Sprache werden einfach durch Silbentrennung aufgezeigt.

Das ist falsch! Deshalb spricht die FLS auch nicht von Worttrennung, sondern vom „Aufzeigen von Wortgrenzen“. In Leichter Sprache trennen wir nicht Wörter, sondern wir zeigen die Grenzen der einzelnen Wortbestandteile auf. Das ist ein Unterschied! Während die Worttrennung meist nach Silben geschieht und am Ende einer Zeile angewendet wird, geschieht das Aufzeigen von Wortgrenzen in Leichter Sprache nach den einzelnen Wortbestandteilen. Das Ziel lautet: Wir wollen komplexe und lange Wörter auf diese Weise besser lesbar machen. Dazu kann man sie optisch in ihre wichtigen Bestandteile aufteilen. Und deshalb kann man eben nicht beliebig die Silbentrennung anwenden.

Beispiele für falsche Trennung mit Bindestrich

Ein sehr häufig anzutreffendes – falsches – Beispiel ist alles, was von unserer Regierung kommt und „Bundes“ im Namen trägt:

  • Bundes-Regierung, Bundes-Gesetz, Bundes-Tag, Bundes-Land

Im Sinne der Leichten Sprache ist diese Trennweise falsch. Das ist nämlich nichts weiter als die herkömliche Silbentrennung, die Sie am Ende einer Zeile anwenden können. Aber dies ist NICHT die korrekte Art der Aufteilung in Wortgrenzen. Diese Trennung mit Bindestrich ist alles andere als eine Lesehilfe. Sie führt dazu, dass die Wörter anders aussehen als im Original:

Es gibt keinen oder keine „Bundes“. Ganz einfach. Es gibt „Bund“. Nach „Bund“ könnte man einen Bindestrich setzen. Aber „Bundes“ ist kein eigenständiges Wort und kann demzufolge so nicht aufgetrennt werden für Leichte Sprache. Aber diese Regel wird leider fleißig ignoriert.

Klarheit findet man in den Regelwerken

Um weiter aufzuklären lohnt sich ein Blick in das Regelwerk für Leichte Sprache. Darin steht:

Texte in Leichter sprache müssen visuell so aufbereitet sein, dass sie optimal wahrnehmbar sind.

Ratgeber Leichte Sprache, U. Bredel, Ch. Maaß, Duden-Verlag

Bei falscher Trennweise, z. B. bei Bundes-Tag, entstehen so gleich mehrere Probleme:

1 Beim Begriff „Bundes“ ist nicht sofort wahrnehmbar, dass es sich um eine abgeleitete Form von Bund handelt. Jemand, der gerade Deutsch lernt, wird den Begriff so nicht im Lexikon finden.

2 Der Begriff „Bundes“ ist zweifellos ein Genitiv („… des Bundes“). Das wirft für das Zielpublikum der Leichten Sprache weitere Fragen auf, da der Genitiv in Leichter Sprache vermieden wird. Und das aus gutem Grund. Einer der Gründe ist nämlich, dass die abgeleiteten Formen die Grundform nicht gut erkennen lassen.

3 Durch diese Form der Trennung entstehen möglicherweise andere Bedeutungen. Nehmen wir den Begriff „Bindestrich“: Falsch aufgeteilt, erscheint er in Leichter Sprache als „Binde-Strich“. Da erhält das Wort „Binde“ eine ganz andere Bedeutung als eigentlich intendiert. Und „Strich“ weist auch nicht eindeutig auf die hier anvisierte Bedeutung hin. Am Ende bleibt die Leserin verwirrt oder entnimmt dem Text einen anderen Zusammenhang.

Noch mehr falsche Beispiele

Was erreicht man damit? Weniger Leseverständnis, mehr Verwirrung. Noch mehr falsche Beispiele aus vermeintlich Leichter Sprache:

  • Zenti-Meter
    Auch hier gilt wieder: Das ist ganz normale Silbentrennung. Was ist ein „Zenti“? Und der nun allein für sich stehende „Meter“ weckt Assoziationen mit einer viel größeren Maßeinheit als ursprünglich beabsichtigt.
  • Aus-Bildung (oder aus-bilden)
    Auch hier wieder: Ganz normale Silbentrennung nach einer Vorsilbe. Der Begriff „Aus“ für sich genommen, kann durchaus ganz andere Assoziationen wecken, z. B. „aus und vorbei; es gibt keine Bildung“.
  • Unter-Seiten
    Gleiches Prinzip wie oben. Die Trennung erfolgt nach Silben, trägt aber nichts zur Verständlichkeit bei.
  • Schwanger-Schaft
    Bei dieser Schreibweise wird aus dem ersten Teil des Substantivs „Schwangerschaft“ ein Adjektiv („schwanger“), das nun aber groß geschrieben wird. Das an sich ist schon ein Widerspruch. Der zweite Teil des Begriffs, für sich alleine gestellt, trägt auch nichts zur Verdeutlichung bei. Darüber hinaus gibt es auch noch diverse andere Bedeutungen für den Begriff „Schaft“ (z. B. Stiel, Rohr, Messerscheide, etc.)
  • und so weiter.

Sie sehen schon, worauf ich hinaus will, oder? In allen Beispielen hat man Aufzeigen von Wortrenzen mit herkömmlicher Silbentrennung verwechselt. Es gibt kein eigenständiges Nomen, das „Zenti“, „Aus“, „oder „Schwanger“ heißt. Einzig die Begriffe „Bildung“, „Seiten“, und „Schaft“ gibt es als Nomen. Aber wenn sie, durch Bindestrich getrennt, alleine für sich stehen, können sie alle durchaus auch andere Bedeutungen haben als hier angenommen. Das ist nicht im Sinne der Leichten Sprache und darum schlichtweg falsch. Das wollte ich einmal in aller Deutlichkeit sagen.

So geht es richtig

Die Konsequenz daraus lautet also: Viel, viel weniger Begriffe als man meint können in Leichter Sprache mit dem Bindestrich getrennt werden. Und alle oben aufgeführten Wörter lassen sich für Leichte Sprache eben NICHT mit dem Bindestrich trennen. Selbst in den Regelwerken des Netzwerks Leichte Sprache steht, dass im Zweifelsfall lieber nicht getrennt werden soll als den Bindestrich beliebig einzusetzen. Schade nur, dass sich so wenige meiner Kollegen und Kolleginnen daran halten.

Dann bleibt natürlich das Dilemma der langen und komplexen Wörter, die für die Zielgruppe schwer zu lesen sind. Und genau aus diesem Grund hat die FLS den Mediopunkt ins Spiel gebracht. Anders als der Bindestrich trennt er die Wortbestandteile nicht komplett auf, sondern bringt das Auge dazu, kurz zu verweilen, den Abstand zwischen den Buchstaben und somit die Wortgrenzen wahrzunehmen. Es geht hier um eine „sanfte optische Markierung“. Und deshalb wird nach dem Mediopunkt auch klein weitergeschrieben. Es entstehen also keine neuen Einzelwörter. Stattdessen bleibt das Ursprungswort eine Einheit. Und innerhalb dieser Einheit zeigen wir auf, wo die Wortgrenze verläuft. Das ermöglicht der Zielgruppe ein flüssigeres Lesen und ein höheres Leseverständnis.

Der Mediopunkt kann also immer dort zum Einsatz kommen, wo lange und komplexe Wörter NICHT mit dem Bindestrich getrennt werden können, wie hier:

Bundes·regierung, Bundes·gesetz, Bundes·tag, Bundes·land, Binde·strich, Aus·bildung (oder aus·bilden), Unter·seiten, Schwanger·schaft.

Bindestrichtrennung immer kritisch hinterfragen

Nachdem Sie diesen Artikel gelesen haben, sind Sie nun genauer informiert und wissen es besser. Geben Sie sich bitte nicht mit dem Bindestrich allein zufrieden, wenn Sie einen Text in Leichter Sprache in Auftrag geben. Hinterfragen Sie kritisch, nach welchen Regeln hier getrennt wurde. Und geben Sie sich keinesfalls mit der Antwort zufrieden, die mir einmal als Argument entgegengebracht wurde: „Die Zielgruppe sieht sowieso nicht, dass das falsch ist. Das kann man in dem Fall so machen.“ Nein, kann man nicht. Auf keinen Fall. Leichte Sprache ist richtiges Deutsch. Nur leichter. Alles andere ist Quatsch.