Meine Vision von Integration durch Sprache

Ich lehre Deutsch als Fremdsprache im Ehrenamt. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die zu mir kommen, haben meist eine Prüfung für das Niveau B1 abgelegt, sind aber bei Weitem noch nicht in der Lage, selbständig Gespräche auf Deutsch zu führen. An dieser Stelle setze ich an und versuche, die vorhandenen Deutschkenntnisse zu stärken und Lücken in Grammatik und Vokabular zu schließen. Das ist meine Vorstellung von Integration durch Sprache.

Jede Kursstunde erlebe ich als sehr erfüllend und bereichernd. Gleichzeitig sehe ich, wie viel Überwindung es die Menschen kostet, ins Sprechen zu kommen. Manche kommen seit Monaten zu mir und trauen sich immer noch nicht, frei zu sprechen. Sie beteiligen sich nur beim Lesen von Texten. Bei anderen, die schon mutiger sind, nehme ich wahr, dass sie diese Kursstunde intensiv nutzen, um Sprechen zu üben. Wenn ich sie darauf anspreche, bekomme ich immer die Antwort: Das ist die einzige Möglichkeit, mit einer deutschen Person zu sprechen.

Das ist sehr traurig. Ich sehe viele Menschen, die sich integrieren wollen, die neugierig sind auf deutsches Leben und deutsche Kultur. Ich sehe Menschen, die Freude an der deutschen Grammatik haben, weil sie „wie eine präzise Maschine ist. An der deutschen Grammatik sehe ich, dass Deutschland ein Land der Ingenieure ist“. Das hat mir ein junger Afghane neulich gesagt. Und ich sehe Menschen, die unbedingt arbeiten wollen, die etwas zurückgeben möchten dafür, dass sie hier aufgenommen wurden. Aber sie scheitern an so vielen Dingen:

Die Hürden

Durch die ersten Sprachprüfungen werden sie regelrecht durchgehoben und erreichen am Ende etwa das Niveau B1. Ab dann werden sie allein gelassen. Es wird von ihnen verlangt, dass sie sich jetzt aber mal schnell integrieren und einen Job finden.

Nur: Die Realität sieht anders aus. Mangels Sprachpraxis wenden die Menschen ihre Deutschkenntnisse kaum oder gar nicht an. Ihr einziger Kontakt zu Deutschen findet meist bei Ämtern und Behörden statt, und dieser Kontakt ist oftmals nicht besonders positiv. Und so bleibt die Sprachbarriere bestehen, obwohl es bereits Kenntnisse der deutschen Sprache gibt, auf denen man aufbauen kann.

In diesem Blogbeitrag teile ich meine Vision: Was können wir alle tun, um diesen Menschen das Leben ein klein wenig einfacher zu machen? Was können wir tun, um die Sprachbarriere ein klein wenig abzubauen? Stell dir ein Land vor, in der Deutschlernende sich willkommen fühlen. Ein Land, in dem sie keine Angst haben, Fehler zu machen; ein Land, das sie mit kleinen Hilfen aktiv unterstützt, hier auch sprachlich anzukommen.

Freundlichkeit und Geduld

In meiner idealen Welt begegnen Mitarbeitende in öffentlichen Einrichtungen jedem Menschen mit Freundlichkeit und Geduld. Sie sehen nicht nur die Sprachbarriere, sondern vor allem den Menschen dahinter. So könnte es aussehen: Jeder Schalter, jede Infotheke und jedes Büro wird zu einem Ort, an dem sich Lernende sicher fühlen, Deutsch zu sprechen. Die Mitarbeitenden sind geschult, klar und verständlich zu sprechen. Sie wiederholen Informationen geduldig und verzichten auf komplizierte Fachbegriffe. Fehler werden nicht als Problem gesehen, sondern als Teil des Lernprozesses. Ein freundliches Lächeln und ein ermutigendes Wort gehören zum Alltag.

Sprachfreundliche Geschäfte und öffentliche Räume

Schilder und Formulare sind in einfacher Sprache geschrieben. Symbole oder Illustrationen helfen, komplexe Inhalte zu verstehen. Wegweiser, Verbotsschilder, Hinweistafeln sind freundlich und verständlich formuliert. Integration durch Sprache in einfacher Form. Kleiner Aufwand, große Wirkung.

Sprachcafés in Geschäften und öffentlichen Einrichtungen

In meiner idealen Welt gibt es an den verschiedensten Stellen Sprachcafés, zum Beispiel in der Stadtbibliothek, im Buchladen, im Kindergarten, im Sportverein. Dort können DaF-Lernende in lockerer und freundlicher Atmosphäre ihr Deutsch anwenden und Kontakte knüpfen. In öffentlichen Stellen erklären Mitarbeitende in einfachen Worten, wie man Formulare ausfüllt oder Anträge stellt.

Mentoring-Programme

Städte bieten Mentoring-Programme an: Freiwillige treffen sich mit Lernenden und bieten sich als Gesprächspartner für Deutsch an. Das ist für beide Seiten bereichernd. Seniorenheime können DaF-Lernende zu Gesprächen einladen. So viele Senioren würden sich über Gesellschaft freuen. Eine Win-Win-Situation.

Kooperationen

Öffentliche Stellen tauschen sich aus mit lokalen Firmen und Geschäften und entwickeln gemeinsame Projekte. Zum Beispiel kann eine Tanzschule Kontakte zum Sozialamt knüpfen und dort Menschen für ein kostenloses Sprachcafé gewinnen. Oder der Turnverein spricht gezielt Menschen an, die an das örtliche Jobcenter angebunden sind. Ob Fußball oder Rückengymnastik, der erste Schritt zur Integration wäre gemacht. Der Buchladen vor Ort hat vielleicht eine Ecke frei, in der sich regelmäßig Menschen treffen und reden. Möglichkeiten gibt es viele.

Eine sprachfreundliche Welt ist möglich

Schon kleine Maßnahmen können einen großen Unterschied machen. Ob durch ein freundliches Gespräch, ein Sprachcafé oder ein Mentoring-Programm: Jede und jeder von uns kann dazu beitragen, Sprachbarrieren abzubauen und Integration durch Sprache zu fördern. Wir müssen es nur tun.

Wann fängst du an?